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Südamerika 2007/08

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Tagebuch der Asienreise von Anne und Martin
Rajasthan
Born to be wild, ….oder to be ein bisschen verrückt?

Seitdem es unsere Freunde Caro und Heiner vorgemacht haben, spucken diese Gedanken unentwegt in unseren Köpfen herum, vor allem in Martin´s. Mit einer Royal Enfield, einem Motorrad aus dem ersten Weltkrieg durch Indien cruisen, das ist der Traum.
Die prachtvollen Old-Timer sind in Indien alltägliche Fortbewegungsmittel und werden heute immer noch neu gebaut. Das einfach konstruierte Zweirad ohne viel Elektrik tuckert gemütlich wie eine Harley durch die Gegend. Ihr Geräusch ist unverkennbar und lässt die Herzen von „Easy Ridern“ höher schlagen.

In Jaipur, der Hauptstadt des nordindischen Bundesstaates Rajasthan, machen wir eine Motorradwerkstatt ausfindig, die Enfields verleiht und auch verkauft. In Saleem´s sehr sauberer,   winzig kleinen Werkstatt angekommen, trinken wir erst einmal Kultur gemäß einen Chai-Tee und erzählen ihm von unserer Idee, eine Rundreise mit einer Enfield durch das Bundesland der Könige zu unternehmen. Wir sind nicht die ersten Pilger, die bei ihm etwas Freiheit leihen wollen. Saleem kennt sich aus, gibt uns gute Tipps und weist uns auf Besonderheiten des indischen Straßenverkehrs hin. Er verleiht uns schließlich eine 2005 ér Enfield Bullet, 350 ccm. Leider spricht er wenig Englisch und deshalb wird viel gezeichnet und gestikuliert.

Am 18.November starten wir ganz behutsam aus Jaipur. Die Enfield wurde auf unseren Wunsch mit Rucksack-Halterungen und Rückspiegeln ausgestattet. Helme müssen wir uns dringlichst  erfragen. Unsere mehrfach abgespeckten Rucksäcke verstauen wir zum Schutz in Plastiksäcken. Bei unserer Abfahrt müssen wir Saleem versprechen, alle zwei Tage eine „es geht uns und vor allem der Bullet gut-SMS“ zu schreiben.
Wir machen uns auf in den Kampf, Bullet gegen Bullen und Schlaglöcher, die uns auf unseren Wegen ständig ausbremsen. Nach zweieinhalb Stunden und 130 km erster Fahrerfahrung erreichen wir den kleinen Ort Pushkar. Dort findet gerade der berühmte alljährliche Kamelmarkt statt. Martins Versuche, mich gegen ein Kamel einzutauschen, scheitern. Auf dem Motorrad wäre eh kein Platz dafür gewesen.

Pushkar wird von Touristen ebenso aufgesucht, wie von Hindus, die hier zu einem der wenigen Brahmatempel pilgern. Die strengen Glaubensregeln in Pushkar verbieten den Verzehr von Fleisch, Eiern und Alkohol. So bekommen wir zum Frühstück statt einem Omelett ein Omelatt, was mit einem Kartoffelpuffer zu vergleichen ist.
Eine Kuriosität bietet für uns der Anblick von kiffenden Sadu´s, die entlang der Ghats in Grüppchen sitzen und ihren qualmenden Ritualen nachgehen. Trotz sämtlicher anderer Prohibitionen, werden sie geduldet, bestaunt und von der Polizei geschützt, die ihnen sogar Gesellschaft leistet.
  
Am nächsten Morgen wollen wir nach Jodhpur, bekannt als die blaue Stadt, aufbrechen, doch unser Motorrad will einfach nicht losfahren. Es springt zwar an, geht dann aber sofort wieder aus. Nach ziehen und drücken sämtlicher Knöpfe und intensiver schweißtreibender Nutzung des Kickstarters finden wir die simple Ursache des Problems. Der Benzinhahn ist noch zugedreht.  

Sechs Stunden später verirren wir uns in den engen, stark frequentierten Gassen der Altstadt von Jodhpur. Mit unserer Überbreite streifen wir sanft das eine oder andere Hindernis und entschuldigen uns mit einem hilflosen Lächeln. Resigniert flüchten wir, um uns außerhalb der Altstadt eine Bleibe zu suchen.
In Jodhpurs gewaltiger Festung entscheiden wir uns das erste Mal für einen Führer, einen Audio Guide, den wir ein- und ausschalten können, wann wir wollen. Bisher konnten wir die lästigen Guides am Eingang immer erfolgreich abschütteln. Der elektronische Begleiter wird uns von einem lustigen älteren Mann übergeben, der leicht als Entertainer in einer Show auftreten könnte. Er verspricht uns die “most amazing guided tour“ die wir bisher hatten und er soll recht behalten.

Mittlerweile haben wir uns an die chaotische indische Fahrweise gewöhnt und sind überrascht, noch keinen Unfall gesehen zu haben. Liegt es vielleicht an dem Schutz der Hindugötter, dass auf den Straßen wenig passiert?
Wir nutzen eine von vielen Möglichkeiten um uns segnen zu lassen. Wahllos suchen wir uns den nächstgelegenen Hindu-Gott und lassen uns gegen einen kleinen Obolus mit einem roten Farbtupfer auf der Stirn und einem Armband für eine gute und sichere Reise segnen. Wir hoffen bloß, dass der Segen funktioniert, denn der von uns auserwählte Gott ist für gute Ehen zuständig.    

Wir finden unseren Fahrtrhythmus und starten morgens zwischen sieben und acht Uhr. Nach zwei Stunden müssen wir uns bei einigen Chai Tee´s aufwärmen und die taub gesessenen Hintern revitalisieren. Unsere Mittagessen nehmen wir in den urigst indischen Truckstopps (österr. Truckerbeisl´n) ein, in denen wahre Haus-MANN´s-Kost serviert wird. Unser Ziel erreichen wir vor der Dämmerung und bleiben meist zwei Nächte. Während unserer Rundreise darf die Enfield, wir haben ihr keinen Spitznamen verpasst, des Öfteren im Eingangsbereich/ Marmorlobby der Gasthäuser schlafen.

In Jaisalmer, nahe der pakistanischen Grenze, wohnen wir in den Festungsmauer und fühlen uns wie Könige in unserem edlen Zimmer, welches mit Antiquitäten dekoriert ist.
Aus Dankbarkeit für den bisherigen Schutz der Götter huldigen wir Shiva in einen der wenigen legalisierten Bhangshops mit dem Verzehr eines Bhanglassi´s medium-stark...  

Auf unserem Weg nach Udaipur halten wir für eine Nacht in Ranakpur, wo sich ein beliebter Janinisten-Tempel befindet. Die Religion der Jainisten glaubt an eine Erlösung durch völlige Reinheit des Geistes z.B. durch Fasten und Meditation. Gegessen werden ausschließlich Früchte, die über der Erde wachsen. Jainistische Mönche möchten keinem Lebewesen etwas zu leide tun und tragen daher einen Mundschutz, damit sie nicht versehentlich Insekten einatmen und kehren mit einen Besen den Weg vor sich sauber, um nichts zu zertreten. Streng Gläubige laufen sogar nackt durch die Gegend.
Die Bauwerke der Jainisten sind in Rajasthan stark verbreitet und ihr Baustil ist leicht als solcher erkennbar. Im Gegensatz zu den Buddhisten, vermischen sie sich nicht mit dem Hinduismus. Die Tempel gefallen uns sehr gut. Sie sind sauber, hell, aus schönen Marmor und sie strahlen eine  unglaubliche Friedfertigkeit der Religion aus.

In Ranakpur genießen wir die Freiheit, die uns das Motorrad ermöglicht. Hierher kommt man nur mit einem privaten Fahrzeug, öffentliche Verkehrsmittel gibt es nicht. Endlich, nach so langer Zeit in Indien, sind wir einmal außerhalb einer Stadt. Weg von Staub, Müll und Lärm. Statt Autohupen wecken uns Vögel mit ihrem Zwitschern, statt dem Ausblick auf Häuser frühstücken wir im Grünen. Die Gegend ist wie gemacht für eine Motorradtour. Über kleine Landstraßen, die sich durch die bergige Landschaft schlängeln, fahren wir der romantischen Stadt Udaipur entgegen.
Manche sagen, es wäre die schönste Stadt Indiens. Sie liegt an einem großen See, der für indische Verhältnisse sogar sauberes Wasser enthält. Unser Hotel liegt direkt am Ufer mit phänomenalem Ausblick von der Dachterrasse über die Stadt und den See. Hier finden wir auch den ersten schönen Park der zum Relaxen einlädt. Auf den anliegenden Aussichtsberg führt sogar eine Seilbahn, die wir selbstverständlich verschmähen und zu Fuß den Hügel erklimmen.  

Auf dem Weg zurück nach Jaipur trauen wir unseren Augen nicht. Wir fahren auf einem dreispurigen Highway. Das bedeutet drei Spuren in jede Richtung und ohne Schlaglöcher. Es gibt Zebrastreifen, Kühe liegen herum, tot und lebendig und man kann problemlos Geisterfahrer spielen. Dazu muss man nur sein Licht am Fahrzeug aufdrehen und gleichzeitig hupen.  
Die Mittelstreifen sind mit schönen Blumen bepflanzt, das Gras muss nie gemäht werden, dafür sorgen die Kühe.  
An Straßenverhältnissen erleben wir in 14 Tagen Rundtour wirklich alles. Wobei mancher Highway nicht mal die Bezeichnung Straße verdient.
Wer in Indien fährt, muss mit allen Gefahren rechnen: mit Kühen, Schweinen, Hunden und waghalsigen Überholmanövern, egal ob Platz ist, oder nicht. Und wenn die Lücke beim Überholvorgang doch zu klein ist, muss der Schwächere ausweichen. Ganz einfach, diese Verkehrsregeln!

Mit einem Lächeln im Gesicht fahren wir am 30. November wieder bei Saleem vor. Als wir die Daumen noch oben strecken und bis über beide Ohren strahlen, lächelt auch er erleichtert. Wir berichten ihm begeistert von unserer Rajasthan-Rundfahrt.
Das Motorrad bekommen wir an diesem und auch am folgenden Tag nicht los, Saleem drückt uns immer wieder den Schlüssel in die Hand. Wir dürfen die Enfield noch zwei Tage kostenlos nutzen und strapazieren unsere Schutzengel weiter, während wir Jaipur besichtigen.

Zum krönenden Abschied unseres Nordindien-Aufenthaltes und zu unserem dreimonatigen Reisen, erleben wir die Geburtstagsfeier des Hotelchefs mit, in dem wir wohnen. Wir folgen seiner   Einladung und finden uns am Abend mit mindestens einhundert anderen Gästen auf der prachtvoll geschmückten Dachterrasse ein. Indische Männer und Frauen sind reichlich vorhanden; die Männer in ihrer Anzahl, die wenigen Frauen durch ihren Körperumfang.
Die Party ist ein außergewöhnliches Erlebnis für uns und zeigt mal wieder die extremen Gegensätze Indiens: Hier gibt es Unmengen an Essen und Alkohol, während fünf Stockwerke tiefer die Mülltonnen nach Essbaren durchsucht werden.

Hier gibt es einen Film von uns mit der Ennfield im wilden Straßenverkehr in Indien. Es wirkt im Film weniger schlimm wie es in echt war. Der Film ist sehr groß: 239 MB.
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